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Andrea van Reimersdahl is based in Berlin and was born in Bocholt on the German-Dutch border, in a region with traditional textile production. Since graduating as a master student of Prof. Katharina Grosse, she has concentrated on painted and printed textiles as canvases, mainly using screen printing and pigment painting.

Based on shadow drawings, van Reimersdahl develops an abstract, organic formal language that explores the relationship between body and space. Her works metaphorically stand for diversity and are inspired by the human figure. She draws from a constantly growing collection of forms. The symmetry of the human body leads her to play with patterns, repetitions and reflections. The use of color is an intuitive process that plays with nuances, transparencies and overlays. Her impulse is to soften contrasts and to explore intermediate shades. In her compositions she experiments with silkscreen printing, inspired by textile or fashion design and everyday clothing.

Van Reimersdahl has received grants and prizes from the Hans and Charlotte Krull Foundation, the Stiftung Kunstfonds, the Kulturwerk der VG-Bild Kunst and the Reclaim Award. In 2023, she received a residency scholarship from the DKB Foundation at Schloss Liebenberg. Her works are included in private collections.





Texts/Texte:

Ausstellung PAPERDOLLS
GE59 Art-Work-Space, 2023

Wo die Grenzen zwischen Kunst und Design, zwischen dem »freien« und dem «angewandten« Schaffen verlaufen, wird im öffentlichen Diskurs immer wieder neu verhandelt. Andrea van Reimersdahl interessiert diese Frage nicht unmittelbar. Da sie in beiden Welten zu Hause ist – sie hat sowohl Design als auch Malerei studiert und über zehn Jahre selbst Mode entworfen – überschreitet sie die Grenzen ohne Scheu.

Andrea van Reimersdahls Werke sind Serigrafien, das heißt sie entstehen im freihändigen Siebdruckverfahren. Ausgehend von der Silhouette ihres Körpers entwickelt sie dabei abstrakte, anthropomorphe Formen, die auf digitalem Wege zu Druckvorlagen werden.

So auch in ihrer Ausstellung »Paperdolls«, die ausschließlich aus textilen Arbeiten besteht. Dabei lotet sie die Lebendigkeit und Leichtigkeit des textilen Materials aus, inszeniert die Textilien aus verschiedenen Blickwinkeln und lädt dazu ein, sich den Stoff als tragbare Kunst vorzustellen.

Das Spiel mit Schatten und den Abstufungen von Hell und Dunkel hat Andrea van Reimersdahl zuletzt intensiv beschäftigt. Die vielen Graubereiche zu zeigen, die zwischen Schwarz und Weiß liegen, ist ihr ein Anliegen – auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Polarisierung in der Gesellschaft. Aus diesem Impuls heraus kuratierte sie 2020 die Ausstellung 0+255, in der diese Grauzonen im Fokus standen.
In »Paperdolls« hingegen geht van Reimersdahl wieder voll in die Farbe. Aus den Grautönen sind geradezu grelle Lichtfarben geworden, die an die Neon- und Pastell- töne der Achtzigerjahre erinnern. Inspiriert wurde sie von der gleichnamigen Modekollektion der japanischen Modedesignerin Rei Kawakubo aus dem Jahr 2012, die als »Verherrlichung der Flächigkeit« gilt.

Die Arbeiten in der GE59 variieren in Form, Farbe, Oberfläche und Textur. In der »Werkstatt« hängen großformatige Raumarbeiten, die in einen Dialog mit den Vorhän- gen im Gebäude treten. Ergänzt werden sie mit kleineren bedruckten Tüchern. Diese sind so drapiert, dass sie die Leichtigkeit und Dreidimensionalität des textilen Materials betonen und die Tragbarkeit am Körper denkbar wird.

Andrea van Reimersdahl lebt in Berlin. Aufgewachsen an der deutsch-niederländischen Grenze, einer Region mit traditioneller Textilproduktion, verbindet sie klassische Malerei mit Verarbeitungstechniken aus der Bekleidungsindustrie. In 2004 schloss sie ihr Studium der Malerei bei Prof. Katharina Grosse an der Weißensee Kunsthochschule Berlin ab. Mit der Idee einer tragbaren Malerei am menschlichen Körper gründete sie das Modelabel AVR. Ihre Arbeiten werden in Modenschauen, Performances und in Kunstinstitutionen präsentiert, z. B. der Galerie Ursula Walter in Dresden, dem Saasfee*Pavillon in Frankfurt a. M., dem Künstlerforum Bonn oder in der Studiogalerie im HAL Berlin. Sie erhielt Stipendien und Preise u. a. von der Hans und Charlotte Krull Stiftung, der Stiftung Kunstfonds, der Stiftung Kulturwerk der VG-Bild Kunst und dem Reclaim Award.






Tracing the shadows
Charlotte Silbermann, 2023

Die weiße Seite eines Skizzenbuches leuchtet hell in der Sonne. Die Reflexion des Lichts blendet. Dann beugt sich eine Hand über das Papier und das Auge kann sich wohltuend in der Form des Schattens ausruhen. Für Andrea van Reimersdahl ist diese Silhouette ihrer Hand auf dem weißen Papier der Ausgangspunkt für ein abstraktes Formenspiel. Schnell und locker zeichnet sie mit dem Bleistift die Umrisslinien ihres Handschattens nach. Sie wiederholt das „Tracing the Shadows“, wie sie ihr Konzept nennt, mit immer neuen Schattenkonstellationen. Und nicht nur ihr Arm oder ihre Hand dienen dabei als Schattenspender, auch den Rest ihres Körpers setzt sie manchmal ein, um Schemen auf dem Bildträger zu erzeugen.
Die Schattenskizzen von Andrea van Reimersdahl, die sich aus der konkreten Verbindung aus Körper, Licht und Raum ergeben haben, erinnern möglicherweise an Landkarten oder Wolkenformationen. Sie ergeben ein Eigenleben an Formen, das klar und doch üppig wirkt. Das Volumen des Körpers, das im Schatten und in der Umrisslinie zur Fläche wird, ist nur noch subtil anwesend, wenn die Überlagerungen organisch-amorphe Momente erzeugen.
Der Titel der Ausstellung PAPERDOLLS rekurriert auf das Phänomen, den Körper als Fläche zu denken. Papierpuppen oder Anziehpuppen sind Figuren aus Pappe, die immer wieder ihre Form ändern können, indem man unterschiedliche Papierkleider an sie heftet. 2012 war Paperdoll außerdem der Titel einer Kollektion des Modelabels Comme des Garçons. Die Kleider waren so angelegt, dass die Silhouetten der Models möglichst flach erschienen. Einfarbig aber knallig wurden die Entwürfe zu abstrakten Formen, die nicht zuletzt an die Kostüme aus Oskar Schlemmers Triadischem Ballett erinnerten.
In der Kunst- und Kulturgeschichte erscheinen interessanterweise sowohl die Puppe als auch der Schatten häufig im Kontext mysteriöser, zwielichtiger Erzählungen. Mit der dunkeln Schattenwelt eines romanischen Doppelgängers lassen sich van Reimerdahls Arbeiten allerdings nur schwer in Verbindung bringen. Die Künstlerin überwindet mit ihren Pop-Art-Schatten diese dunkle Tradition und nutzt den Verfremdungseffekt des Schattens vielmehr für einen lustvollen Umgang mit abstrakten Kompositionen. In ihren textilen Bildwelten, die im Siebdruckverfahren entstehen, werden die Schattenumrisse der Bleistiftzeichnungen in schier unendlichen Kombinationen wieder ins Regenbogenspektrum des Lichts überführt.





Scapinelli´s Deal
Galerie 149, Bremerhaven, 2021

Der Titel der Ausstellung ist inspiriert von einem Stummfilm mit dem Titel „Der Student von Prag“ von 1913. Ihr Interesse an Filmen bzw. Stummfilmen ist in der Inszenierung von Bühne und Kostüm mit Stofflichkeit, Licht und Schatten als Stilmittel begründet. In der Malerei haben Licht – und Schattenwirkungen eine zentrale Bedeutung. Sie sind die Grundlage, um das flächige Bild dreidimensional wirken zu lassen. In der Ausstellung „Scapinelli´s Deal“ greift Andrea van Reimersdahl auf den tatsächlichen Schatten zurück. Den Gegensatz zwischen der materiellen Bildfläche und ihres immateriellen Schattens hebt sie auf, indem sie die Schattenprojektion ihres eigenen Körpers Teil des Bildes werden lässt.





Text: Reclaim Award, 2020
Großflächenplakat, Reclaim Award für Kunst im öffentlichen Raum, Köln

Andrea van Reimersdahl betreibt Malerei multidimensional. Die Arbeit „Identity sucks“ visualisiert die Vorstellung von bewegten Bildern, die über den Ausstellungsraum hinaus interagieren. In der hier abgebildeten Fotografie zeigt sich die Künstlerin eingehüllt in ihre Malerei. Ihre Identität verschwindet und die abstrakten Bildflächen nehmen Gestalt an. Texturen, Farben und Strukturen werden zu Elementen, mit denen sie, sprichwörtlich zum Bildträger geworden, nach außen kommuniziert.





Die Opulenz der Reduktion
Wie die Beschränkung auf die schwarz-weiß Palette zum Moment einer komplexen Form- und Strukturwahrnehmung wird.
Charlotte Silbermann, 2020

Weniger Konzept, mehr Nuancen und Strukturen
Dass eine Welt in schwarz und weiß keine rigide Ordnung meint, die alles in ein Ja und Nein spaltet und die weniger chaotisch wäre als die farbige Welt, ist ein klarer Fokus in der Ausstellung 0+255. Die einzelnen Positionen umkreisen in diesem Sinne allenfalls ästhetische Ordnungsversuche oder machen gar chaotische Strukturen mit dem Mittel der Farbreduktion sichtbar. In der Beschränkung auf hell-dunkel Nuancen kann eine besondere Aufmerksamkeit auf die Vielgestaltigkeit von Formen, Oberflächen und Muster gelenkt werden, die eine Sensibilisierung für die Rhythmik visueller Wahrnehmung zur Folge hat. Die vermeintliche Statik des schwarz-weiß Kontrastes wird einmal mehr obsolet und der Verzicht auf Farben wird zu einem Spektakel flimmernder und differenzierter Strukturen oder lebendiger Übergänge materialbedingter Schattierungen. Qualitäten wie opak und transparent, dicht und lose, dünn und geschichtet, pastos und flüssig bestimmen vor allem in den installativen und skulpturalen Positionen, aber auch in den bildnerischen Werken, die Übergänge von Licht und Schatten, hell und dunkel - manchmal sogar mehr als die reduzierte Farbpalette.
In der Fokussierung der Ausstellungspositionen auf das Materielle und die räumliche Erfahrung wird das Konzept von schwarz-weiß in eine Realität überführt, die einem rein geistigen, mathematischen Prinzip der schwarz-weiß Opposition widerspricht. Für diese geistige Opposition hatten sich vor gut hundert Jahren vor allem die Konstruktivsten wie etwa Piet Mondrian interessiert. Die zum Teil hart konturierten schwarz-weiß Kontraste der Modernisten beeinflussen womöglich noch immer unsere visuelle Vorstellung von Kunst, die sich auf die Farben Schwarz und Weiß beschränkt. Die Ausstel- lung 0+255 entwirft mit dem Fokus auf stoffliche Nuancen und Strukturen eine andere, differenzierte Erfahrung auf den schwarz-weiß Kontrast.

In den installativen Draperien von Andrea van Reimersdahl liegt der Anspruch, das Bild zu überwinden, ohne die Malerei aufzugeben. Ihre skulpturalen Gebilde setzen sich aus unterschiedlichen stofflichen Qualitäten zusammen, auf denen sich der Farbauftrag jeweils anders verhält. Das Changieren der Grautöne oder das Lichtspiel der vielfältigen Grauschattierungen variiert so je nach Gewebestruktur und wird durch die Faltungen der Stoffensembles noch einmal verstärkt. Die Farbmaserung steht schließlich aber im Kontrast zur weichen Materialität der Objekte. Sie legt eine Assoziation an Gesteinsschichten nahe. Hinzu kommt die feste Spannung der Stoffe durch Seile im Raum. Die Draperien sind weniger einem barocken Faltenwurf nachempfunden, sondern streben als Zelte oder Drachen vielmehr nach oben.





Dem Ephemeren einen Raum geben
Julia Gwendolyn Schneider, 2017

Der Verzicht auf die Wand als Trägermaterial von Kunst, ist bei Andrea van Reimersdahls Arbeit mit textilen Elementen zentraler Bestandteil. Sie setzt Gewebe in seiner Raum bildenden Wirkung ein. Diesem Prinzip folgt auch ihre jüngste Installation Um den Morast zu umgehen, gingen wir in Richtung Osten (2016), die sie im Rahmen der Ausstellung Slight Show in der Kunsthalle am Hamburger Platz zeigt. Die Wände der Kunsthalle werden nicht bespielt, sind aber für die Konzeption der künstlerischen Arbeit von zentraler Bedeutung: van Reimersdahl hat hier Maß genommen. Sie hat die Wandflächen vermessen und den Umfang ihrer verwendeten Stoffbahnen daraufhin berechnet. Entlang der Fensterfront des modernistischen Zweckbaus in Berlin-Weißensee, lässt sie Raum hohe Gewebebahnen Stellung beziehen. Auf den ersten Blick dominiert ihr Vorhangcharakter. Es lässt sich jedoch um sie herum bewegen – der Abstand zu den Fenstern ist bewusst großzügig bemessen. Die Stoffbahnen agieren wie Raumteiler im Sinne der Bauhaus-Textilkünstlerin Anni Albers, die in den 1950er-Jahren für den Einsatz von formbaren gewebten Stoffen als „Gegenstück zu den festen Wänden“ in Museen plädierte.

Doch van Reimersdahl geht darüber hinaus. Zu den raumgreifenden textilen Flächen mit leichtem Faltenwurf, gesellen sich asymmetrische Drapierungen. Die amorph gewundenen Tuchbahnen hängen an filigranen Ketten in unterschiedlicher Höhe im Raum und stellen ihre fragile Stofflichkeit explizit zur Schau. Subtil unterwandert die „weiche“ Materialeigenschaft des Textilen die geordnete Raumordnung der „festen“ Architektur. Es entsteht ein diffuser Raum, in dessen Unvorhersehbarkeit das Verlockende liegt. Unweigerlich müssen wird uns entscheiden, welche Wege wir in Bezug auf die textilen Hängungen einschlagen wollen. Sie eröffnen ein vielschichtiges Möglichkeitsfeld der Wahrnehmung. Dabei ist nicht nur die räumliche Gesamtanordnung von Bedeutung, hinzu kommt der mysteriöse Faltenwurf der Drapierungen, das Spiel von Licht und Schatten, sowie die Vielfalt der einzelnen Versatzstücke der vernähten Stoffbahnen. Hier finden sich vor allem Kombinationen aus gelben und schwarzen Farbfeldern, gepaart mit Bereichen in denen lockere, schwarz-weiße Strukturen auftauchen. Diese wild wuchernden Regionen erstellt die Künstlerin im Siebdruckverfahren. Beim Drucken verwendet sie in der Natur gesammeltes abgestorbenes organisches Material, wie Blattwerk, Tannennadeln oder Geäst, wodurch sie ihre Stoffe mit abstrakten Gestaltungselementen versieht. Schlussendlich lässt die gesamte Installation ein visuell-taktiles dreidimensionales nicht-gegenständliches Bild im Raum entstehen.

Bezeichnender Weise ereignet sich das Springen zwischen zwei- und dreidimensionalen Ebenen nicht nur in den installativen Arbeiten der Künstlerin, es tritt auch in ihren Zeichnungen zum Vorschein, in denen sie sich, wie im Textildruck, mit Kompositionen aus Oberflächenstrukturen beschäftigt. Auf der zweidimensionalen Ebene des Papiers sprießen und wachsen filigrane, meist schwarz-weiße, Strukturen. Die zarten Linien-Mengen können Faltungen, Kreuzungen und Krümmungen enthalten. Durch das Schraffieren abstrakter landschaftlicher Strukturen, bewegt sich van Reimersdahl auch hier im Spannungsfeld zwischen Wirklichkeit und Medialität sowie von Fläche und Raum.
Bemerkenswert ist, dass es der Künstlerin bei ihrem Interesse an Strukturen nie um einen festgefrorenen Habitus geht, also nicht um Stillstand und strukturelle Ordnung, sondern vielmehr um eine Art bewegter Unordnung. Ihre Zeichnungen wie ihre Installationen sind von der Auseinandersetzung mit Zeitlichkeit, Vergänglichkeit und Prozessualität geprägt. Dabei gelingt es van Reimersdahl ein Stück weit die Flüchtigkeit der Welt einzufangen.